Bescherungsfahrt des heiligen Nikolaus
Am Vorabend des 6. Dezember verließ der heilige Nikolaus den Himmel. Der liebe Gott und alle Engel und Heiligen wünschten ihm gute Reise. Er kam zuerst durch die Sterne, dann durch die Wolken und zuletzt durch die Gipfel und Äste der Bäume. Im Cochemer Wald betrat er den festen Erdboden. Er betrachtete sich gerade den Berg von Gebäck, den die Engel dort aufgehäuft hatten, und sann nach, wie er alles mitnehmen könne, da hörte er auf einmal tief unter sich grell eine Peitsche knallen. Er trat ein paar Schritte vorwärts und schaute in die grausige, schon dunkle Endertschlucht hinab. Ein dürrer Esel mit einem knarrenden Wagen, so schien es ihm, kletterte aus finsterer Tiefe durch den dicken grauroten Abendnebel den steilen Hang herauf. Als das Fuhrwerk höher kam, sah Sankt Nikolaus, daß er sich nicht geirrt hatte. Auch der Fuhrmann war jetzt zu erkennen. Er hatte funkelnde Augen wie ein Kater bei Nacht, im übrigen war er schwarz wie ein Neger. Ein riesiger, weiter Sack und eine klirrende Kette baumelte um seine Schulter. Der kluge Sankt Nikolaus kante den bösen Gesellen auf den ersten Blick und fuhr ihn barsch an: „Was hast du hier verloren, Beelzebub? Dieses Gebäck ist für die braven Kinder auf der Erden und nicht für euch Teufel in der Hölle."
- „Ach, ach," stammelte Beelzebub, „ich will ja gar nichts wegnehmen. Gott hat mich nur hergeschickt, damit ich dir behilflich sei bei deiner Reise und solche Kinder strafe, die du nicht brav findest. Die schlechtesten soll ich in diesen Sack tun und mit in die Hlle nehmen." Der Teufel hatte noch nicht ausgeredet, da fing r schon an, das Gebäck auf den Wagen zu laden - so diensteifrig zeigte er sich. Die feinen Wecken und Printen und Brezeln gefielen ihm sehr gut. „So zart goldig", sagte er, „hätten wir sie nicht backen können, unser Feuer da unten ist meistens zu stark."
Als die beiden alle Gaben auf dem Wagen hatten, fuhren sie aus dem Dickicht auf die Straße, dann ging’s flink nach Büchel hinauf. Die Abendglocken hatten schon längst geläutet. Vor dem ersten Hause machten sie Halt. Beelzebub: „Seien wir nicht so voreilig! Wir wollen zunähst lieber mal durchs Dorf schlendern und nachsehen, ob die Kinder unserer Gaben auch würdig sind." - „Das ist kein übler Vorschlag", erwiderte der heilige Mann. „So laß und den Esel hier anbinden! Wir wollen dann links durch die Wiesen unter dem Dorf vorbeischleichen und tauchen plötzlich im Dunkeln unbemerkt da oben auf, wo Büchel und Georgweiler zusammenstoßen. Von da übersehen wir nach rechts die Straße nach Büchel hinan, und nach links können wir tief in Georgweiler hininschauen."
Als sie nun zu dem Brücklein zwischen den zwei Dörfern gekommen waren, hörten sie von Büchel her ein eigenartiges Geräusch, wie wenn etwas rutscht oder geschleppt wird und dazu Rufe des Wohlbehagens: „Holla, hoppla, hui!" „Horsch!" sagte Beelzebub, „sie fahren noch Schlitten, und wie lange hat die Abendglocke schon heimgerufen! Sie kommen herunter! Stell dich auf die andere Seite des Weges! Schnell! Wir wollen ungesehen meinen Sack dicht über dem Boden aufhalten, daß alle hineinsausen müssen." Sofort kamen die Schlitten auch schon angesurrt. „Eins ... zwei ... drei", zählte Beelzebub, und dann zählte er so schnell, daß man nicht mehr folgen konnte. Auf einmal rief er: „Siebenundzwanzig, siebenundzwanzig sind drin!" - „Schnell nach der anderen Seite aufgehalten!" unter ihn Sankt Nikolaus, „auch von Georgweiler kommen einige, scheint’s, angefahren!" Und richtig, o weh, sieben Kinder und Schlitten flogen auch von dort her in vollem Braus in den tiefen finsteren Höllensack. Der Teufel lachte mit seinem ganzen Gesicht und band hurtig zu. „Und nun", befahl Sankt Nikolaus, „sofort mit den Gefangenen in Scholtes‘ Hof oben auf dem Büchel, und leih dir die Ortsschelle und ruf mir die Eltern zusammen. Sie brauchen kräftige Predigt!"
Beelzebub nahm den Sack mit den vierunddreißig Kinder und Schlitten auf seine Schultern. Die Kinder schrien fürchterlich und strampelten mit allen Beinen und Armen, daß es Beelzebub kitzelig und spaßig um den Büchel hinauf, daß Sankt Nikolaus weit hinter ihm zurückbleiben mußte. In Scholtes‘ Hof warf der böse Schelm den Sack in die Scheune und dachte: „Ich will euch schon das Strampeln und Hampeln und Kitzeln und Krabbeln vertreiben!" Und der Böse nahm einen Flegel von der Wand und drosch den Sack aus allen Teufelskräften. „O weh! und o jeh!" riefen sie inwendig und stießen und kratzten gegen den Sack: aber er war von vierfachem Höllenleinen, sie konnten ihn weder zerreißen noch zerbeißen. Der Teufel wurde allmählich müde und machte eine Pause. Hier und da stemmte sich noch ein Knie oder ein Ellenbogen gegen Sack. Da spie er wieder in die Hände und drosch und drosch, bis sich nichts mehr bewegte und regte. Dann setzte er sich auf den weichen Sack und pfiff frechlustig vor sich hin.
Mit würdigen, gemessenen Schritten kam endlich der liebe heilige Nikolaus nach. „Ach Gott!" rief er, „was muß ich sehen! O ihr armen, armen Kinder! O, wäre ich gestorben und nicht ihr! Warum hast du das getan, du böser Satan, du schlechter Teufel, du schändlicher Luzifer, du nichtsnutziger Beelzebub? Noch zehnmal mehr sollst du von jetzt ab in der Hölle leiden, will du das getan. – Wo sind denn die Eltern der Kinder, die du mir rufen solltest?" - „Ich habe gedacht," stotterte Beelzebub, „die Eltern wollten solche schlechte Kinder gar nicht mehr haben, die abends noch auf der Straße herumlaufen. Aber sieh, da kommen ja die Eltern schon ungerufen." So war es. Beelzebub hatte so kräftig gedroschen, daß die Schläge durch das ganze Dorf gedrungen waren und alles herbeilief.
„Männer und Frauen," sprachen Sankt Nikolaus, „ihr habt eure Kinder schlecht erzogen. In tiefer Dunkelheit sind sie noch Schlitten gefahren, statt daheim in eurer Obhut ihre Aufgaben zu machen. Nun hat sie der Teufel zur Strafe totgedroschen. Der große Sack dort in der Scheune birgt 34 getötete Kinder und ebensoviele zertrümmerte Schlitten." Da ging ein großers Weinen durch die Schar der Eltern. „Unsere Kinder, unsere armen Kinder!" riefen sie, und knieten vor dem heiligen Mann hin und flehten: „O hilf, daß wir sie wieder bekommen! Hätten sie gewußt, daß du heute kämst, o wie gern hätten sie dich daheim betend erwartet; sie hätten sich sicher nicht so erwischen lassen." Als der heilige Bischof das große Leid der eltern sah, ward er geführt und tröstete sie: „Weinet nicht! Wie ich einst die Knaben im Metzgerbottich lebendig gemacht habe, so will ich auch diesen hier im Sack das Leben neu schenken." Und da streckte der gute Mann seine Hand mit dem funkelnden Bischofsring über die Toten, flehte aus tiefem Herzen zu Gott und zog ehrfürchtig das Zeichen des heiligen Kreuzes über den Sack. Und da mit einem Male wurde es inwendig wunderbar lebendig, es zitterte und zappelte, es hampelte und strampelte, es krabbelte und kroch. „Dank, Dank!" riefen die Eltern, als sie’s sahen, „tausendmal Dank!" Auf einen Wink sprang Beelzebub hinzu, band auf, faßte den Sack bei den Endzipfeln und schüttelte ihn gründlich aus. Wie Äpfel kamen aus dem Sack die Kinder auf den Hof gepurzelt. Schnell rafften sie sich auf und wollten davon laufen. Sankt Nikolaus aber redet ihnen liebreich zu, daß sie furchtlos bei ihm blieben. Er hielt ihnen ihre Sünde vor und mahnte sie väterlich. Dann knieten alle nieder und beteten mit ihm laut und kräftig, daß alle Giebel um den Hof klangen. Die Männer zogen ihre Hüte und hörten andächtig zu:
„Du lieber Gott im Himmel drohen,
Wir wollen dich jetzt immer loben,
Wir wollen dich jetzt immer preisen
und alles Böse von uns weisen.
Sobald die Abendglocken gehen,
Sollst du uns nicht mehr draußen sehen,
Du kannst dich sicher drauf verlassen,
Daß wir uns nicht verführen lassen.
Wir kennen jetzt das Teufelspack
Und wollen nicht mehr in den Sack."
Während des Gebets war der Esel, der sich losgerissen hatte, mit dem Wagen in den Hof hineingekommen. Sankt Nikolaus verteilte eigenhändig seine Gaben an die Kinder. So viel erhielten sie, daß ihnen das Christen nichts mehr zu bringen brauchte. Dann fuhr Sankt Nikolaus fort in andere Dörfer. Oben in der Eifel machte er Schluß. Auf der Hohen Acht sagte er der Erde „Auf Wiedersehen im nächsten Jahr!" und setzte sich auf eine goldene weiche Wolke. Die trug ihn zu den Engeln und Heiligen in den Himmel zurück. Beelzebub aber sprang auf einen kräftigen Schlitten, den er gegen sein Eselsfuhrwerk eingetauscht hatte, und sauste auf ihm mit Blitzeseile in die Tiefe. Punkt zwölf Uhr nachts kam er kopfoben, kopfunten in die Hölle hineingepurzelt. Er klatschte unglücklicherweise mitten in den großen Schwefelkessel hinein. „Bumm, darabumm!" sagten die anderen Teufel, sprangen zu Seite, m nicht bespritzt zu werden, und lachten ihn gehörig aus.