Die Mette zu Morschweiler

Die Mette zu Morschweiler

Die Mette zu MorschweilerDer hochwürdige Herr Vikar von Greimersburg kam alljährlich zur Christmette nach Morschweiler. Aber im Jahre 1781 war er ausgeblieben. Der Weg durch die tiefe Endertschlucht schien dem alten Manne bei dem wilden Dezemberwetter zu gefährlich. Das hatte die Morschweilerer verdrossen. „Nächstes Jahr sehen wir uns besser vor", sagten sie, „wir tragen ihm schon vor dem Fest seine fünt Silbergroschen hinüber; denn, hat er das Geld, dann bleibt ihm nichts anders übrig, als zu kommen." Und den Vorsatz hatten sie nicht vergessen: Am letzten Sonntag vor Christtag im Jahre 1782 brachten sie klug und weise das Geld nach Greimersburg. In der heiligen Nach wurde der Herr Vikar gegen drei Uhr wach. Aber, o weh, welch ein Wetter! Der Schnee schlug klatschend an das Fenster, der Sturm hlte um das Dach, kein Sternchen schaute vom Himmel. „Da geht nicht" wehrte die Haushälterin, „das ist nichts für einen alten Mann." „Ach," klagte der Vikar, „die guten Leute haben mir schon im voraus meinen Lohn gebracht. Da muß ich mich erkenntlich zeigen!"
Eine Strecke des Wegs ging es besser, als der Herr Vikar gedacht. Auf den Hängen über der Schlucht packte ihn aber ein wilder, wüster Sturm. Hände und Ohren wurden ihm steif, in die Augen schlug ihm eisiger Schnee. So rasend fuhr der Wind an ihm vorbei, daß er kaum ein Lüftchen zum Atmen erwischen konnte. Der hochwürdige Herr fühlte sich erleichtert, als er den Rand der Schlucht gewonnen hatte. Nun hoffte er, geschützter zu sein. Mutig schritt er hinab. Aber was nützte es, daß er jetzt die Augen offen halten konnte. Es war so höllenfinster, daß er doch nichts sah. Die Pfade waren vom Schnee verschüttet, und als es zur Umkehr bereits zu spät war, merkte der Vikar, daß er keinen betretenen Boden mehr unter den Füßen hatte. An den Reisern Halt suchend, ließ er sich von Busch zu Busch hinabgleiten. Oft geriet er auf kahlen Felsboden und dann rutschte er schmerzlich und angstvoll große Strecken hinab, bis in wieder ein verwachsener, knorriger Strauch auffing. Plötzlich stak er mitten in widerspenstigen Dornen, aus denen es kein vorwärts und kein rückwärts gab. Dicht unter ihm schäumte und lärmte die wilde Endert um Felsen und Geröll. Er rief um Hilfe, aber sine Stimme kam neben dem Sturmgebraus in den Gipfeln der Eichen nicht auf. Er schaute aus, ob nicht eine Lampe aus den Endertmühlen herausleuchte, aber die Müller hatten geglaubt, der Vikar sei vorbei und waren bereits zur Mette hinaufgegangen. Dem armen Herrn wurde es kalt und bang. Er zitterte wie eine windgepeitschte Hecke in seinen schneenassen Kleidern. Zuletzt machte er einen Versuch, zum hl. Mauritius, dem Patron der Morschweilerer Kirche und zum Christkind zu beten, aber er war zu matt. „Das wird mein Ende sein," stöhnte er. Die Augen fielen ihm zu. Ohnmächtig schlief er ein.

Es währte nicht lange, da mit einem Male wurde der schlummernde Vikar aufgeschreckt. Wie vom Morgenschimmer waren die Büsche um ihn vergoldet. Ein schneeweißes Roß stand neben ihm und ohne daß ihm Zeit wurde, sich den Schlaf aus den Augen zu wischen, faßte ihn die starke Hand des Reiters und hob ihn vor sich auf den Sattel. Der Vikar, erfroren und verschlafen, dachte, es sei ein Endertmüller, der ihn gefunden. – Aber sonderbar! Mit einem einzigen Sprung setzte der Reiter über die tiefe, breite Endert. Und er kümmerte sich beim Aufstieg auf der andern Seite nicht um die bequeme Müllerwege, sondern ließ sein Pferd rücksichtslos die steilsten Hänge hinaufgehen. Und siehe, die Büsche teilten sich vor dem Roß, ließen ehrfurchtsvoll eine Gasse und schlugen sanft hinter ihm wieder zusammen. Und manchmal kam dem Vikar die Brust, an de er sich lehnte, die Arme, die ihn festhielten, wie gepanzert und beschient vor. Aber er war zu schlaff und kalt, um sich Gedanken über diese wundersamen Dinge zu machen. Immer wieder zogen Schlaf und Traum über seine Seele.

Nach einer kleinen Weile waren sie vor der ersten Hütte von Morschweiler angekommen. Da griff der seltsame Reiter dem Vikar unter den Arm und ließ ihn zu Boden gleiten. „Ich danke dir, Müller," sagte der geistliche Herr und wollte sich, nun etwas frischer geworden, zu seinem Wohltäter wenden. Aber was soll denn das? Nirgends war jeman zu sehe, nich Roß, nicht Reiter. Der Vikar wußte nicht, wie ihm geschah, er tastete sich von Kopf zu Fuß ab, um wenigstens über sich selber Gewißheit zu gewinnen. Er schüttelte verworren den Kopf: „Ja, wenn man alt wird, die Gedanken hält man nicht mehr zusammen, aber so en Wetter kann einen durcheinanderbringen. Gott Dank, daß ich glücklich hier oben bin!"

Der Vikar ging schnellen Schrittes zur Kirche. Beim ersten Tritt, den er in das dichtgefüllte Gotteshaus tat, fuhr er jedoch erschrocken zurück. Wie starr stierten seine Augen auf das Reiterbild des hl. Mauritius an der Wand. Gütiger Gott, es war kein Traum! Dieser Schimmel war das Roß, das ihn getragen, dieser gepanzerte Heilige der Reiter, der ihn gerettet! Ein heiliges Wunder, kein Traumgebild! Glühend vor Freude kniete sich der Herr vor die Statue und schickte seinen Dank zum Heiligen empor. Während er betete, entstand Gemurmel unter den Leuten: „Was oll das nur? Sonst hat er doch nie da gebetet. Wir haben schon lange genug auf ihn gewartet!" Der Geistliche bemerkte bald die Unruhe und erzählte dem Volk frohlockend, wie herrlich ihr hl. Patron für ihre Christtags- Freude und das Leben ihres Vikars gesorgt habe. Dann legte er weiße und goldene Gewänder an und feierte die Mette. Als sie zu Ende war, da brach es plötzlich wie ein Freudenstrom aus aller Herzen:

„Mauritius, Freund Christi groß,
Der du nun ruhst in Gottes Schoß,
Wir ehren dich an diesem Tag,


Und sie wiederholten: „Soviel nur unser Herz vermag." Set jener Christmette wurde das Reiterbild des hl. Mauritius in Morschweiler hoch verehrt. Von den Nachbarort kamen die Bauersleute auf ihren Pferden und ritten dreimal betend um die Kirche. Noch heute freut sich klein und groß des himmlischen Patrons, der ihnen einst das Christfest so schön gemacht.