Der "Best Plan"
Bei der Flurbereinigung oder Landzusammenlegung im Eifeldorfe "Büchel" in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bildete naturgemäß dieses ins bäuerliche Leben tief einschneidende Ereignis den Hauptgesprächsstoff, der unerschöpflich schien. Immer wieder wurden die vorläufig entworfenen neuen "Pläne" in den Flurgewannen beredet, bemängelt, abgelehnt, verworfen oder mitunter auch gutgeheißen. Bei diesen dörflichen Erörterungen gab es leidenschaftlich erhitze Köpfe, und das zuständige Kulturamt wußte mit den gestellten Abänderungsanträgen kaum fertig zu werden. Der Bücheler Müller aus der einsamen Endertmühle tief drunten im Tal war einer, der am lautesten an der neuen Felderverteilung Anteil nahm. Er wünschte sich zwar seine Äcker und Wiesen allesamt in die "Mühlkaul", weil er sie hier am nächsten an seiner Wassermühle hatte. Aber, daß er nun kein einziges Feld in der fetten Dorfmark, etwa in der "Kauth", auf der "Kunn" oder am "Leiskamp" bekommen sollte, das erschien ihm unerträglich. Dieser oder jener bemerkte hämisch sein Leid und weidete sich gar an dem Anblick, wenn der greise Endertmüller mehr und mehr neben seinem schockeligen Mehlkarren den Kopf hängen ließ.
Als er eines Sonntags in der Dorfschenke saß, über die neuen Flurpläne krakelte und dabei ganz gegen seine Gewohnheit einen Moselschoppen nach dem andern stülpte, da gesellten sich andere lockere Spaßvögel zu. Nachdem der weinmuntere Müller ausgiebig seiner Verärgerung über die "ungerechten" Verteilungspläne Ausdruck gegeben, redete ihn der schlitzohrige Neumes-Kläs an: "Matthes, ich war gestern am Kulturamt in Mayen und habe mir die revidierten Pläne, die jetzt unter Berücksichtigung der zahlreichen Beschwerdeanträge zum Wunschtermin neu aufgestellt wurden, gründlich angeschaut. Darunter ist dir ein prächtiger Plan auf der "Kunn" zugefallen, zwar nicht übermäßig groß, aber ruhig und friedlich gelegen, ein Plänchen, das dir noch nach deinem Tode Freude machen wird." Der überraschte Müller guckte zunächst recht mißtrauisch, aber als alle in der runde todernst bei der Rede blieben, da taute er sichtlich auf und wollte gerne wissen, wo das ihm zugeteilte Feld auf der "Kunn" denn ungefähr liegen sollte. Der Neumes-Schreiner bedeutete ihm, er müsse nachher noch nach seinem Rapsstück in der "Gauchkaul" schauen und da der Heimweg des Müllers ebenfalls an der "Kunn" vorbeiführte, könnten sie ruhig zusammengehen, er würde ihm dann seinen ihm zufallenden kleinen Plan dort zeigen. Nachdem man gemeinsam noch einige Schoppen auf die neuen besseren Pläne geleert hatte, drängte der Schreiner-Kläs zum Aufbruch.
Als die beiden Alten, zwar schon ein wenig wackelig auf den Beinen, durchs Dorf an der Schule vorbei zur "Kunn" kamen, lag da rechts vom Fahrweg breit und behäbig der lindenumsäumte Dorffriedhof. Am Eingangstor lüfteten sie nach altem Brauch die Kappen, den toten Dorfgenossen zum Gruß. Schon ließ der Endertmüller ungeduldig seine weinglänzenden Augen über die fruchtbaren Gewanne der "Kunn" nach seinem vermeintlichen neuen Plan Umschau halten, da zog der Schreiner den zage sich Sträubenden wortlos durch das schmiedeeiserne Tor in den ummauerten Friedhof hinein. Der Müller vermeinte offenbar, der Neumes-Kläs wolle noch am Grabe seiner erst kürzlich verstorbenen Frau ein stilles Vaterunser beten und folgte ihm ahnungslos. Mitten auf dem unbelegten Gräberfeld rechts machte der Schreiber Halt, schrämte mit dem Fuß eine Fläche im Geviert ab, etwa zwei Meter Lang und einen Meter breit. "So, Freund Matthes, das ist dein Plan auf der "Kunn". Sag selbst, wenn er auch arg klein ausgefallen, ist er nicht für uns alte Narren der beste und der schönste in der ganzen großen Bücheler Zehntreih?"
Der Endertmüller wurde jäh nüchtern und wollte erst aufbrausen, aber als er in das ruhige, fast verklärte Gesicht des kleinen, schon vom Alter tiefgebeugten Neumes-Schreiner schaute, in seine klugen Augen und auf seine verschafften Hände, da verschlug es ihm erschüttert die Rede. Die Lindenbäume rauschten im Abendwind, und stumm blickten die kleinen und großen Grabkreuze auf die zwei alten Männer, die sich ein hartes Bauernleben lang in den Plänen der Dorfgemarkung abgemüht hatten ums tägliche Brot. Da antwortete der Müller leise in den abendlichen Frieden des Gottesackers: "Recht hast du, Kläs, das ist wahrhaftig der beste Plan für uns im ganzen Flurbann des Dorfes". Und nachdenklich schweigend trennten sich die zwei Männer am offenen Friedhofstor.
Heute haben die beiden längst in allen Ehren ihr "Plänchen" auf der "Kunn" zur ewigen Ruhe bezogen . . . .